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Zur Verteidigung verbotener Bilder.

Am Beispiel einiger zeitgenössischer Neuinterpretationen von Leonardo da Vincis Abendmahl.

Die Bilder sind nicht verboten. Dies ist das Thema dass mir gegeben wurde. Aber ist das wirklich der Fall ? Sind die Bilder wirklich nicht mehr verboten ? Das Thema des Bilderverbots spielt auf den protestantischen Ikonoklasmus, vor allem reformierter Tradition, an. Ich hatte im übrigen bereits Gelegenheit, die Modernität des reformierten Ikonoklasmus zu verteidigen, die zugleich ästhetisch und ethisch ist. Ästhetisch, weil die protestantische Ablehnung jeglicher Verbildlichung des christlichen Glaubens die moderne abstrakte Ästhetik ankündigt und vorbereitet. Diese bilderlose Kunst lehnt sowohl jede bildliche Darstellung der christlichen Glaubenslehre als auch jegliche analoge Beziehung zwischen dem Bild und dem, was es darstellt, ab. Ethisch, weil das Bild heute nicht mehr nur eine künstlerische Schöpfung ist. Es ist auch ein Medienkommunikationssystem, das auf Wiederholung, Verführung und Profit begründet ist und das vor allem durch die Werbung repräsentiert wird. Man muss wissen, wann man die Macht des Medienbilds kritisieren oder ablehnen muss, um den geistigen und künstlerischen Wert des Bildes zu wahren. In seiner gedachten und kritischen Form ist der Ikonoklasmus immer noch notwendig.
Ich möchte die Frage der Ablehnung von Bildern unter einem anderen Aspekt betrachten, nämlich dem der Bilder, die von der Gesellschaft abgelehnt werden, weil sie stören, verunsichern - oder der Bilder, die Fragen stellen, die man nicht hören will oder die dem Geist ihrer Zeit voraus sind.
Von diesen kritisierten, ja sogar zensierten Bildern entstammen einige der christlichen Überlieferung. Ich möchte einige zeitgenössische Neuinterpretationen von Leonardo da Vincis Abendmahl darstellen, die Anlass zu lebhaften Kontroversen gegeben haben. Ich werde zeigen, dass sich die Positionen in diesem Punkt umgekehrt haben : während ein Teil der Gesellschaft das Verbot dieser Bilder verlangt, kann der Protestantismus - auch der reformierte - diese Bilder nur verteidigen, da sie in der Regel eine dreifache Botschaft vermitteln, nämlich eine ästhetische, ethische und biblische Botschaft.
Zunächst müsste ich auf die Quelle zurückgreifen und das Abendmahl von Da Vinci analysieren. Aus Zeitmangel werde ich mich diesbezüglich mit einigen kurzen Bemerkungen begnügen. Anschließend werde ich vier zeitgenössische Neuinterpretationen untersuchen. Ich werde ihr Entstehungsmilieu und die Kontroversen, zu denen sie Anlass gegeben haben, darstellen. In der Tat ist es nötig, diese Werke in ihrem Kontext zu sehen, wenn man ihre wahre Botschaft sichtbar machen will, die eher befreiend als provozierend ist.

1. Das Abendmahl von Leonardo da Vinci

Léonard de Vinci, Abendmahl, 1497.
Mailand, Sta Maria delle Grazie

Leonardo de Vinci schuf sein Wandgemälde zwischen 1495 und 1497 für das Refektorium des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand. Dieses Meisterwerk der italienischen Renaissance wurde fast von Anfang an kopiert , so sehr schätzte man seine ästhetische Qualität, seine Symbolkraft und seine existentielle und religiöse Dichte. Die zeitgenössische Kunst und die Postmoderne lassen sich immer noch von diesem Werk inspirieren, aber sie verfremden es, indem sie es parodieren. Die Werbung popularisiert schließlich dieses Phänomen, da sie sich häufig von Kunstwerken der Vergangenheit inspirieren lässt .
Das Abendmahl ist ein Werk, das sowohl Kontinuität als auch einen Bruch darstellt. Kontinuität hinsichtlich der biblischen Erzählungen vom letzten Mahl Christi mit seinen Jüngern und von der Ankündigung des Verrats durch Judas, die durch dieses Gemälde getreu, aber auch auf eigene Art interpretiert werden . Kontinuität in Bezug auf frühere Bilder, die diese Erzählung darstellen, vor allem die wenigen Gemälde, die Leonardos Arbeit vorausgingen und die er in Florenz oder Rom gesehen hatte . Kontinuität, was die ästhetischen Regeln der Renaissance betrifft (die Bedeutung der Perspektive).
Aber dieses Bild birgt ebenso viele Innovationen, die aus ihm ein Werk machen, das einen Bruch darstellt. Um einige zu nennen : die trügerisch echte Perspektive, die zu der von Alberti im Gegensatz steht ; die einzelne Behandlung der Personen und ihre Einfügung in den architektonischen Rahmen ; die Umplatzierung der wichtigsten Apostel (Petrus, Johannes, Judas) gegenüber der ikonografischen Überlieferung ; die Individualisierung aller anderen Apostel, die auch zu Akteuren werden ; die theatralische und psychologische Umsetzung der Szene.
Demzufolge kann man das Werk sehr unterschiedlich und sogar widersprüchlich interpretieren. Für manche symbolisiert es eine historische Erinnerung an ein grundlegendes Ereignis und sein Fortbestehen im liturgischen Gestus. Für andere hingegen ist das Abendmahl ein Ausdruck der Emanzipation der Kunst von den religiösen Fesseln, die sie seit so vielen Jahrhunderten gefangen hielten.
Ist Da Vincis Abendmahl ein großes religiöses Werk, das eine modernistische Ästhetik integriert ? Oder ist es im Gegenteil ein Werk, das trotz seines religiösen Themas nicht mehr religiös ist, weil die ästhetische Sorge die dogmatischen Aussagen so sehr übertrifft ? Diese beiden Interpretationen, eine geistliche und eine weltliche, sind von Anfang an, möglich.

2. Neuinterpretationen des Abendmahls in der Kunst

Von den heutzutage zahlreichen künstlerischen Interpretationen von Leonardo da Vincis Abendmahl werde ich zwei erläutern, die aus einer unterschiedlichen Zeit und mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln entstanden sind. Ich werde zunächst eine Szene aus einem Film von Luis Bunuel (1961) vorstellen, dann eine künstlerische Fotografie der amerikanischen Künstlerin Renée Cox (1996). Dennoch müsste man zahlreiche andere zeitgenössische Parodien in den Blick nehmen .

Renée Cox : der Mut, Frau zu sein

Renée Cox, Yo Mama’s Last Supper, 1996-2001

Diese zweite plastische Neuinterpretation von da Vincis Abendmahls ist neuer. Es handelt sich um eine künstlerische Fotografie, die Renée Cox, eine amerikanische Künstlerin jamaikanischer Herkunft, Yo Mama’s Last Supper genannt hat.
Dieses Werk von 1996 , das im Februar 2001 im Rahmen einer Ausstellung von 94 „Schwarzen Fotografen“ im Brooklyn Museum of Art in New York ausgestellt wurde, war der Auslöser für eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen der Künstlerin - unterstützt von den Organisatoren der Ausstellung - und dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani.
Die Anlehnung an da Vinci machen mehrere ikonografische Verweise explizit deutlich : die Jünger sind in vier Gruppen mit drei Personen aufgeteilt ; es gibt eine lange Tafel, die mit einem weißen Tuch bedeckt ist und auf der Brot, Wein und Früchte verteilt sind ; die Christusfigur hebt sich gegen einen gelben Behang ab, der sie umrahmt und hervorhebt - sie unterscheidet sich, wie bei Leonardo, sehr von den Jüngern. Es gibt also eine Kontinuität, aber das Werk von Cox zeigt auch bedeutende Verstöße und Brüche : die Jünger sind - außer einem einzigen - schwarz oder dunkelhäutig. Hinter den ersten beiden Gruppen von Jüngern befindet sich ein weißer Behang mit dem Zeichen des Kreuzes. Aber vor allem haben wir einen dreifachen Verstoß in der Person Christi : sie ist Frau, schwarz, nackt. Aufrecht, vollständig nackt, hebt sich ihr Geschlechtsteil gerade oberhalb der Tischkante ab, wo sich sonst der Oberkörper Christi befindet.
Handelt es sich um eine Provokation, ein Sakrileg oder um ein persönliches Bekenntnis, ja sogar um einen Akt des Glaubens ? Sehen wir uns die Frau als Christus an : sie hat ausgebreitete Arme und geöffnete Handflächen. Ein um ihre Arme gelegtes weißes Tuch gibt ihr eine feierliche, hieratische, betende, zelebrierende Haltung. Ihre Augen blicken weder auf die Jünger noch den Betrachter, sondern nach oben. Ebenso schaut sie kein Jünger an - als ob diese Frau alleine einen Moment intensiver Kommunikation mit Gott erlebte. Nun erfährt man, dass die Künstlerin selbst Christus als nackte Frau ist . Was man als sexuelle Provokation hätte verstehen können, wird jetzt zu einem mutigen Akt der Selbstdarstellung, beinahe zu einem Akt des Glaubens.
Ich möchte hier an das Bild von Franz Timmermann Gesetz und Evangelium (1540, Hamburg) erinnern : Dieses Bild zeigt in der Mitte eine nackte Frau. Wie im Renée Coxs Bild steht sie alleine ganz nackt. Die Nacktheit symbolisiert in diesem Fall dass sie ganz ungeschützt vor Gott steht und ihre Fragen zu Tiefst persönlich und aufrichtig sind.
Angesichts der Beschuldigungen des Werks als antikatholisch durch Rudy Giuliani, der bei dieser Gelegenheit eine Zensurkommission auf die Beine stellen wollte (Decency Commission), hat die Künstlerin ihr Werf näher erklärt. Für sie ist dieses Werk weder pornographisch noch antichristlich, sondern militant. Indem sie sich nackt anstelle Christi darstellt, will Renée Cox die Rechte der schwarzen Frauen verteidigen - allgemeiner die der Afro-Amerikanerinnen. Sie stellt sie wieder in ihrer Würde als Kinder Gottes hin in einem Land, in dem der Rassismus zur alltäglichen gesellschaftlichen Realität gehört. Cox, die ihre christliche Herkunft nicht verleugnet, erwidert : „Ich verstehe nicht, warum sie von antikatholisch sprechen, ich bin als Katholikin aufgewachsen... . Sie greift nicht das Christentum an, sondern die geschichtliche Form, die es durch eine männliche Institution, die mehrheitlich weiß ist und das Priestertum der Frau ablehnt, angenommen hat. Indem Renée Cox sichtbar den Platz Christi einnimmt, fordert sie die Freiheit für schwarze Frauen, Priesterinnen zu werden, selbst wirklich zu Bildern Christi zu werden. Es wäre daher ein großer Interpretationsfehler, in der Nacktheit der Künstlerin Erotik zu suchen, selbst wenn sie es nicht leugnet, sich für die Schönheit des menschlichen Körpers zu interessieren.
Diese künstlerische Fotografie hat übrigens auch im Internet eine intensive ästhetische und theologische Reflexion angeregt. So legt Keith Chandler eine fiktive Geschichte, Drinking with Jesus, vor, die erzählt, wie Jesus auf die Erde zurückkommt und auf seine Ersetzung durch eine schwarze Frau reagiert : er würde das Werk gut finden (« I love it ») und sähe darin keine antibiblische oder antichristliche Botschaft, sondern eine, die den katholischen Antifeminismus verurteilt. Es folgt eine Argumentation, in der der fiktive Christus bestätigt, dass die Tatsache, dass er ein weißer Mann war, eine Sache historischer Kontingenz sei : wäre er in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort geboren, hätte er sehr gut auch als schwarze Frau geboren werden können. Die theologische Bedeutung seiner Person hätte sich in keiner Weise geändert . Hinter der offenen Kritik gäbe es tatsächlich eine echte christliche Botschaft in diesem Werk.
Eine andere Autorin, Katharine Wilkinson, hat eine sehr schöne Studie mit dem Titel „Die Letzten werden die Ersten sein“ (The Last Will Become First) über dieses Kunstfoto geschrieben, die mit einem Preis der Elie Wiesel-Stiftung ausgezeichnet wurde. Diese Studie wurde im Anschluss an ein interdisziplinäres Seminar über „Bilder Jesu“ an der Universität verfasst. Die Autorin entwickelt darin eine kontextuelle Theologie politischer Aktivität : eine Theologie, die für die Anerkennung der Rechte der ausgebeuteten, unterdrückten und ausgegrenzten Minderheiten kämpft . Sie stellt das Werk von Renée Cox in die Tradition schwarzer und feministischer Theologie.

3. Neuinterpretationen des Abendmahls in der Werbung

Meine Präsentation einiger erst kontroverser, dann verbotener künstlerischer Neuinterpretationen von Leonardo da Vincis Abendmahl aus unserer Zeit wäre jedoch sehr unvollständig, wenn ich nicht die Aufnahme des Themas durch die Werbung ansprechen würde. Mit der Werbung befinden wir uns inmitten anderer Bilder und Medien. Ich werde hier aber nicht das heikle Thema der Beziehung zwischen Werbung und Kunst anschneiden .
Ich werde mich damit begnügen, zwei neuere Beispiele zu nennen, die in Frankreich lebhafte Kontroversen ausgelöst haben. Aber natürlich könnte man noch andere Beispiele untersuchen .
Meine Beobachtungen mögen einem deutschen Publikum sehr französisch erscheinen. Das bietet die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass ein Bild, vor allem wenn es öffentlich ist, kulturell bestimmt ist. Es muss anhand des politischen, kulturellen und medialen Kontexts, in dem es sich befindet, interpretiert werden. Es ist hier wichtig, sich eine kulturelle und religiöse Eigenart Frankreichs ins Gedächtnis zu rufen, die in der folgenden Widersinnigkeit besteht : einerseits ist Frankreich ein streng religiös neutrales Land, in dem Kirchen und Religionen in der Öffentlichkeit absolut keinen Platz haben. Ihr Ausdruck beschränkt sich ausschliesslich auf den privaten Bereich. Andererseits bleibt Frankreich stark geprägt vom römischen Katholizismus, der die dominierende Religion ist und der das Religionsmonopol beansprucht. Die geschichtliche Bedeutung des Katholizismus ist so groß, dass er einen Platz in der Öffentlichkeit beanspruchen kann. Einerseits gibt es keine religiöse Kultur, andererseits ist die römisch-katholische Kirche mächtig. Die komplizierte Situation gibt häufig Anlass zu Missverständnissen und macht es minderheitlichen religiösen Stimmen, z.B. dem Protestantismus, nicht leicht sich zu äußern . Das werden wir anhand der Darstellung zweier von Leonardo da Vincis Abendmahl inspirierter Beispiele aus der Werbung sehen.

3.1. Die Werbung für den VW-Golf (1998)

Die VW Werbung, 1998.
In Frankreich erschienen, und gleich verboten.

Diese Werbung war Teil einer Werbekampagne, die Frankreich im Januar 1998 10.000 Plakate bescherte, die in vier verschiedenen Versionen religiöse christliche Inhalte aufnahmen . Die Kosten für diese Kampagne wurden auf 100 Millionen französische Francs geschätzt. Das Plakat, das einen Skandal verursachte, stellte eine Parodie von Leonardo da Vincis Abendmahl dar und war am unteren Rand mit einem weiß gedruckten Slogan versehen : „Freuen wir uns, Freunde, denn der neue Volkswagen ist geboren“.
Die Anlehnung an das Vincis Abendmahl ist explizit : die Jünger sitzen alle hinter einer langen Tafel, die mit einem weißen Tischtuch bedeckt ist, in Posen, die an die der Figuren auf dem italienischen Gemälde erinnern. Die Vereinigung Croyances et libertés, die die Interessen des französischen Episkopats vertritt, entschloss sich, die Werbeagentur und die Volkswagengruppe Frankreich wegen der Werbekampagne vor dem - dem Landgericht entsprechenden - « tribunal de grande instance » von Paris zu verklagen und verlangte 3, 3 Millionen Francs Schadenersatz. Die Autofirma versprach, ihre Plakate sofort abzuhängen, aber das war nicht genug. Die beiden Gegnerparteien gelangten schließlich zur Einigung : die Plakate wurden abgehängt und dem Secours catholique - einer katholischen Hilfsorganisation - wurde eine Spende übergeben..
Ich möchte bezüglich der katholischen Beschuldigungen und dem anschließenden Verbot nur folgende Punkte hervorheben :
- Die katholische Kirche betrachtet das Gemälde von Da Vinci nicht als ein allgemeines Meisterwerk, das allen zur Verfügung steht : da Vincis Abendmahl ist für sie zunächst kein Kunstwerk, sondern ein christliches Bild. Eine ästhetische und historische Analyse dieses Bildes zeigt jedoch, dass eine zweifache Interpretation - religiös und weltlich - möglich ist und zwar seit der Zeit seiner Entstehung.
 Die von da Vinci, dann von den Werbeschöpfern benutzte religiöse Bilderwelt gehört zur Bibel, die allen christlichen Kirchen - nicht nur der römisch-katholischen - als Urquelle gilt.
 In der Kritik steht nicht wirklich die visuelle Wiederaufnahme von Da Vincis Gemälde in dieser Werbung. Die Parodie ist eher brav und respektvoll. Problematisch ist dessen Benutzung durch ein Medium, das der Verkaufsideologie dient, und die Hinzufügung eines idiotischen Slogans. Die Größe der Werbekampagne (ihre Kosten, Anzahl und Größe der Plakate) ist ein Element, das bei der Verurteilung des Motivs eine Rolle gespielt hat.
 Die liturgische Sensibilität beeinflusst sicher die Annahme des Motivs : es ist normal, dass die katholische Kirche, in der die Feier des Abendmahls im Mittelpunkt der Messe steht, auf die Verfremdung durch diese künstlerische Darstellung sensibler reagiert als andere, weniger sakramental ausgerichtete christliche Kirchen.
 Aufgrund ihrer Popularität und auferlegten Allgegenwärtigkeit ist die Werbung ein Medium, das viel empfänglicher ist für Bewegungen in der öffentlichen Meinung als die zeitgenössische Kunst, die von einem viel kleineren Personenkreis angeschaut wird. Die Werbung verlangt einen viel konventionelleren und stereotypen Blick als das zeitgenössische Kunstschaffen , wo Abweichungen und Parodien viel geläufiger und vor allem viel provokanter sind.
 Ich würde selbst dazu neigen, eine doppelte Freiheit zu verteidigen : Freiheit für die Künstler, eine ebenso kulturelle wie religiöse Symbolik zu benutzen, die auch eine Gelegenheit sein kann, die vom entchristlichten Publikum zu großen Teilen vergessene christliche Symbolik populär zu machen und neu aufzunehmen ; aber auch Freiheit für Christen und Kirchen zu reagieren (aber nicht zu verbieten oder zu zensieren), wenn sie sich lächerlich gemacht oder angegriffen fühlen, da diese Bilder ja auch religiös sind.
Eine Kritik der Benutzung religiöser Aspekte durch Künstler ist daher legitim, aber ein Verbot darf es nicht geben. Diese Kritik scheint mir vor allem begründet, wenn sie auf ethischen Kriterien beruht. Das Bild steht weniger in der Kritik als das Handels- und Finanzsystem, das am Ursprung der Erzeugung und Verbreitung dieser Bilder steht.

3.2. Die Werbung der Modeschöpfer Girbaud (2005)

Sieben Jahre später, im Februar 2005, taucht das selbe Motiv mit den selben Reaktionen wieder auf. Die Konfektionsmodeschöpfer Marithé und François Girbaud haben sich ebenfalls von Leonardo da Vincis Abendmahl inspirieren lassen. Aber ihre Werbung ist in vielerlei Hinsicht diskreter und respektvoller als die ehemalige Werbung des deutschen Autoherstellers : man sieht sie kaum (sie ist nicht Bestandteil einer groß angelegten und allgegenwärtigen Werbekampagne, das Logo der Marke ist diskret. Der architektonische Rahmen, der die hieratische Haltung Christi unterstreicht, fehlt ; Brot und Wein (durch einen einfachen Becher suggeriert) stehen nicht vor Christus, sondern auf der Seite. Der Tisch hat ein modernes Design, ohne weißes Tischtuch und ohne Tischbein.
Die einzige Innovation - die sicherlich Anlass zu Protest gegeben hat - ist die, dass die Personen, Christus wie Jünger, alle (außer einem) Frauen sind. Der weibliche Christus und die Jüngerinnen sind anständig angezogen. Nur der männliche Jünger, der den Platz von Johannes in da Vincis Gemälde einnimmt, hat einen nackten Oberkörper und eine laszive und zweideutige Haltung, da er halb auf dem Tisch, halb zwischen zwei Frauen sitzt. Die Werbung ist daher sehr „trendy“, weil sie mit religiösen und sinnlichen Konnotationen spielt . Die Szene ist das Ergebnis einer gekonnten Komposition : ein bisschen manieriert und mit surrealistischen Akzenten. Man erkennt nur 17 Beine bei 13 Personen, die oft auf unrealistische und sinnliche Weise miteinander verschlungen sind. Ein amüsantes oder verwirrendes Detail : unter dem Tisch befindet sich eine zusätzliche Hand, die niemandem gehört, und dient als Sitzplatz für eine Taube ; der männliche Jünger stellt seinen nackten Fuß auf einen Teller. Manche Jüngerinnen scheinen Klone voneinander zu sein. Wie auf da Vincis Wandbild sind die Jüngerinnen zu dritt platziert ; wie auch der weibliche Christus ahmen sie häufig die Gesten der Personen auf Leonardos Gemälde nach. Vor dem weiblichen Christus befindet sich ein Teller mit zwei Fischen - ein Detail, das man nicht bei da Vinci findet, aber auf manchen mittelalterlichen Darstellungen des Abendmahls - wahrscheinlich als Anspielung auf die Geschichte von der Vermehrung der Brote, in der es ebenfalls zwei Fische gab.
Auch in diesem Fall protestiert die Vereinigung Croyances et Libertés und strengt einen Gerichtsprozess an, der zu einem Verbot führt. Dieses Verbot wird am 31. März 2005 vom Berufungsgericht bestätigt. Auf der Avenue Charles de Gaulle in Neuilly-sur-Seine, am einzigen Ort, an dem die Werbung auf einer riesigen Werbetafel angebracht wurde, wird eine 40 x 11 Meter große Plane vor die Werbung gespannt. Die Presse darf selbst entscheiden, ob sie die Anzeige verbreitet, aber zahlreiche Zeitschriften, wie Ouest-France, lehnen es ab, sie zu drucken.
Laut Muriel de Lamarzelle, Leiterin der Kommunikationsabteilung der Firma Girbaud, bestand das eigentliche Ziel darin, ein schönes Plakat mit einem starken symbolischen Inhalt zu machen : „Die Künstlerin, Brigitte Niedermaier, hat ihre ganze Begabung bei der Behandlung dieses Bildes eingesetzt, um das uns heute Kunsthochschulen bitten, die darüber arbeiten wollen“. Zunächst ging es darum, eine Werbung wie ein Kunstwerk zu behandeln. Der Künstler und das Unternehmen hätten sich außerdem bemüht, niemanden zu schockieren, indem die Personen gewollt züchtig und brav bekleidet wurden. Aber es ist wahr, dass die bewusst gewählte Weiblichkeit der Personen für die Gesellschaft und wahrscheinlich auch die Kirche Fragen bezüglich der Stellung der Frau aufwerfen sollte : „In diesem Bild (...)sind Frauen am richtigen Platz und der Mann verbirgt nicht seine Zartheit. Was für eine Welt hätten wir, wenn sie vor 2000 Jahren am richtigen Platz gewesen wären ?“. Und so sagen die Erfinder : „Wir haben ein Bild nachgemacht, das zum Weltkulturerbe gehört und dabei aufgepasst, dass wir darin keine religiöse symbolische Zeichen zeigen.“ (in der Tat gibt es auf der Werbung kein Kreuz, keinen Heiligenschein, keinen Abendmahlskelch, keine Hostie, kein liturgisches Gewand).
 Verglichen mit dem letzten Skandal bemerkt man den gleichen Anspruch der katholischen Kirche, sich eines kulturellen und religiösen Doppelerbes zu bemächtigen. Aber wahrscheinlich mit einer wachsenden Entschlossenheit und Strenge : zwei Argumente, die bei der Verurteilung der Volkswagen-Werbung angeführt wurden, gibt es hier nicht : Die Präsenz eines Slogans, der die Ausübung der Religion lächerlich machen könnte (bei Girbaud gibt es keinen) und die Größe der Werbekampagne (es gab nur ein einziges Straßenplakat in Neuilly-sur-Seine, die anderen Bilder sollten durch die Presse verbreitet werden).
 Der Streit scheint sich vom theologischen zum juristischen Gebiet verschoben zu haben : wo 1996 eine Argumentation über das christliche Erbe, den Status und das Wesen religiöser Kunst, die mögliche Verwendung einer religiösen Symbolik in der Werbung überwog, überwiegen jetzt Argumente, die sich auf die Autorität einer Institution und die von der katholischen Kirche vertretenen Moral berufen.
 Wie im früheren Fall hat die katholische Kirche weder die möglichen Reaktionen anderer christlicher Kirchen berücksichtigt noch ihre eigenen Mitglieder nach ihrer Meinung gefragt. Noch immer stellt sie sich als die einzige Bewahrerin eines religiösen Erbes hin, das jedoch auf Texten beruht, auf die sich zahlreiche andere, nichtkatholische christliche Kirchen berufen.
 Die Werbung ist (wie zahlreiche Bilder oder Kunstwerke) Gegenstand eines Interpretationskonflikts : manche sehen sinnliche Ausuferungen, wo andere nur vage Anspielungen erkennen. Für die einen ist die Anlehnung an da Vincis Abendmahl offensichtlich und gewollt, während andere sie für eine diskrete Anspielung halten. Man erkennt die gleichen Interpretationsunterschiede bei der zeitgenössischen Ästhetik. Für manche ist Werbung der Ausdruck schlechten Geschmacks, der im Gegensatz zum Kunstschaffen steht, während anderen zufolge in ihr die Tendenzen zeitgenössischen Kunstschaffens absolut zum Ausdruck kommen : ein Stil voller Anspielung, eine latente Sinnlichkeit, die Darstellung weiblicher Personen, die Vermischung einer barockisierenden Ästhetik (Pose der Personen) mit einer Ästhetik der Zeichnung (grauer Hintergrund, Tisch aus Metall).
- Wie man diese Werbekreation einschätzt, hängt letztendlich vom Status ab, den man der Werbung allgemein zubilligt : ist sie ein Manipulationsbetrieb im Dienst einer allmächtigen kommerziellen Logik ? Oder ist sie im Gegenteil ein Ausdrucks- und Finanzmittel zeitgenössischen Kunstschaffens ?

Persönlich kann ich nur bedauern, dass man die Bilder auf der Straße, die christlich inspiriert sind, nicht benutzt, um - auf dem Umweg über die zeitgenössische Kultur - die vom Christentum geerbte künstlerische Tradition und die symbolische Macht der biblischen Erzählungen neu zu entdecken, für ein mehr und mehr entchristlichtes Publikum, dass die Bibel nicht mehr kennt und die christliche Ikonographie nicht mehr versteht (aber die Werbung kennt und schätzt) . Die Werbungen, die sich vom Christentum haben inspirieren lassen, haben ein unterschiedliches Niveau. Aber in der Regel eliminieren sich diejenigen, die zu mittelmäßig sind, selbst und werden selten publik. Diese Beispiele aus der Werbung haben eine ästhetische Botschaft, die je nach Zielpublikum mehr oder weniger ausgearbeitet ist. Der Theologe muss die Rechte dieser Bilder verteidigen. Er muss auch versuchen, sie theologisch zu interpretieren anstatt sie juristisch zu verurteilen. Was ihre ästhetische Botschaft betrifft, so können sie manchmal durchaus als Kunstwerke gelten.

Jérôme Cottin